Die Konsumerisierung des Lernens
- Der moderne Lerner
Einer der häufigsten Fehler bei Unternehmensschulungen ist, dass schon viel zu lange die Erkenntnisse der Lerntheorien für Erwachsene ignoriert werden. Viele, die für Unternehmensschulungen zuständig sind, lassen sich von den neuesten Trends, einer schicken Theorie oder einem Buch mitreißen, ohne sich tiefgründiger mit dem jeweiligen Thema auseinanderzusetzen.
Die neuesten Lerntrends: Wahrheit oder Dichtung?
Wir alle kennen die Theorie der unterschiedlichen Lernstile. Wussten Sie aber auch, dass sie mittlerweile größtenteils widerlegt ist (z. B.: Riener und Willingham, The Magazine of Higher Learning)? Selbst das 70-20-10-Modell wurde niemals von anderen wissenschaftlichen Studien belegt. Diese Peer-Reviews sind ein sehr wichtiger Punkt, wenn wir uns den nächsten wichtigen Trend im Erwachsenenlernen ansehen: die Konsumerisierung des Lernens.
Bevor wir Zeit, Geld und Energie in neue Lerninitiativen stecken, die sich vielleicht wieder bald als bloße Modeerscheinung entpuppen, sollten wir uns genauer ansehen, was Konsumerisierung eigentlich bedeutet. Die Mitarbeiter des 21. Jahrhunderts stehen allem, was mit einem neuen Namen und einer neuen Verpackung kommt, skeptisch gegenüber. Bringt es wirklich die versprochenen Änderungen mit sich? Es ist wichtig, dass alle Änderungen, die wir vorschlagen, Hand und Fuß haben und nachgewiesenermaßen Verbesserungen bedeuten.
Was bedeutet Lernen eigentlich?
Zunächst einmal muss man verstehen, was Lernen überhaupt ist. Der Bildungspsychologe Crow meinte, dass Bildung es „den Menschen ermöglicht, persönliche und soziale Anpassungen“ an ihrem Verhalten und ihren Gedanken vorzunehmen. Wissen entsteht durch Lernen auf Makroebene; Fähigkeiten entwickeln sich beim Lernen auf Mikroebene. Für Unternehmen bedeutet das, dass das Lernen „Wissen, Fähigkeiten und Kompetenzen zum Ausführen einer oder mehrerer Aufgaben…” entwickelt (Cedefop, 2009:8).
Wenn das Unternehmen im Mittelpunkt der Lernerfahrungen steht, haben die Mitarbeiter keinerlei Motivation zu lernen. Wir alle teilen unsere Zeit und unsere Energie jeden Tag aufs Neue ein und wir nehmen uns nur Zeit zum Lernen, wenn wir selbst direkt davon profitieren.
Damit ist der Rahmen für das Lernen definiert und wird der Nutzen für Unternehmen deutlich, wenn ihre Mitarbeiter lernen – sie können so ihre Aufgaben einfach besser wahrnehmen. Doch dieses Modell hat einen Haken: Wenn das Unternehmen im Mittelpunkt der Lernerfahrungen steht, haben die Mitarbeiter keinerlei Motivation zu lernen. Wir alle teilen unsere Zeit und unsere Energie jeden Tag aufs Neue ein und wir nehmen uns nur Zeit zum Lernen, wenn wir selbst direkt davon profitieren. Alle Unternehmen, Kursleiter und Lerner wissen, dass es beim Lernen um die Menschen gehen muss.
Der perfekte Lerner
Dieser Ansatz ist seit den 1970 er Jahren gemeinhin akzeptiert (z. B.: Richteritic und Chancerel, 1977) und ist die Grundlage für eine allgemein anerkannte Definition des Lerners. Merriam (2001) schreibt Lernern folgende Eigenschaften zu:
- Sie können selbstständig lernen
- Sie können auf Lebenserfahrungen zurückgreifen
- Sie können das Lernen mit einer sich ändernden sozialen oder beruflichen Rolle in Zusammenhang bringen
- Sie können das Gelernte direkt auf ein aktuelles Problem anwenden
- Sie sind eher von internen und nicht von externen Faktoren motiviert
Demystifizierung des modernen Lerners
Wie Technologien und neue Lerngewohnheiten die moderne Lernlandschaft formen
Diese fünf Eigenschaften von erfolgreichen Lernern sollten uns dazu anregen, zu überdenken, wie wir Schulungen in Unternehmen präsentieren. Die traditionelle Schulung von Softskills funktioniert wie ein Förderband. Die Lernenden sitzen an ihrem Platz, während das Wissen wie auf einem Transportband zu ihnen gebracht wird. Einiges bleibt hängen, aber das meiste wird vergessen, sobald die Lerner den Klassenraum verlassen. Dieser Ansatz lässt nämlich außer Acht, dass Erwachsene überlegte Entscheidungen treffen können und bei der Auswahl der Themen ein Mitspracherecht haben möchten.
Persönliche Lernerfahrungen
Und genau deshalb müssen wir über die Konsumerisierung des Lernens reden. Der Begriff an sich ist nicht besonders hilfreich – mit Konsumerisierung assoziiert man Eigenschaften wie „wählerisch“, „kleinlich“, „übermäßig anspruchsvoll“. Tatsächlich bedeutet es jedoch, dass die Lernenden im Mittelpunkt der Lernerfahrungen stehen und die Möglichkeit haben, „ihre Lernerfahrung zu lenken“. Standardisierte eintägige Schulungen sind nicht mehr die Norm, obwohl es natürlich nach wie vor einen Platz dafür gibt.
Es geht nicht nur darum, dass moderne Lerner und Millennials digitale, mundgerechte Lernportionen erwarten – das tun sie, aber darum geht es nicht. Es geht darum, dass dieses Konzept funktioniert. Wenn man es den Lernern ermöglicht, jederzeit, überall und mit einer Methode ihrer Wahl auf Lernmaterialien zuzugreifen, wird das Lernen nicht nur selbstmotiviert, sondern auch noch effizienter für die Unternehmen.
Multitaskingfähige Lerner mit mehreren Bildschirmen
Warum ist es so normal, dass Menschen jeden Alters gleichzeitig fernsehen und ein Tablet oder Smartphone bedienen? Ganz einfach: Wir möchten unsere Informationen aus unterschiedlichen Quellen zu unterschiedlichen Zeiten auf unterschiedliche Art und Weise erhalten. Einer der wichtigsten Fehler der Lernstiltheorien war die Annahme, dass es für jede Person einen einzigen vorherrschenden Lernstil gibt. Wenn man den Lernern jederzeit die Möglichkeit bietet, kurze Artikel zu lesen, eine Online-Übung zu bearbeiten, einen Selbsttest zu absolvieren, sich ein Video anzusehen oder sich irgendeiner anderen selbstständigen Übung zu widmen, sind sie später im eigentlichen Unterricht bereits informiert.
Das bietet riesige Vorteile für die Lernerfahrung. Die Lerner machen sich allein auf den Weg und müssen darüber nachdenken, wozu sie lernen. Dabei beginnen sie von ganz alleine, sich zu überlegen, wie die neuen Fähigkeiten sich auf ihre Herausforderungen bei der Arbeit anwenden lassen. Diese praktische Anwendbarkeit ist sehr attraktiv für unsere faule Seite, die immer nach einfachen und schnellen Lösungen strebt.
Die Lerner machen sich allein auf den Weg und müssen darüber nachdenken, wozu sie lernen.
Das Lernen vom Klassenzimmer lösen
Das Lernumfeld verschiebt sich von formellen Klassenräumen hin zu den Orten, an denen sich die Lerner befinden, wenn sie sich dem Lernen widmen. Die größte Herausforderung für alle Kursleiter war es schon immer, das Gelernte hinter die vier Wände des Klassenzimmers zu tragen. Digitale Konzepte befinden sich bereits außerhalb des Klassenzimmers und die Lerner bringen die Materialien freiwillig in den Klassenraum mit und sind motiviert, mehr zu lernen. Die Lerner sind so nicht mehr „just another brick in the wall“, sondern haben den Schritt in die echte Welt getan.
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Die Modernisierung des Lernens am Arbeitsplatz
Sobald sie sich im Klassenzimmer oder bei einem Kursleiter befinden, können sie sofort ihre Fähigkeiten und ihr Wissen anwenden. Der Trainer ist nicht mehr ihre einzige Wissensquelle, sondern ein Moderator, der das Lernen um die kombinierte Erfahrung aller Lernenden herum und mithilfe seiner eigenen Erfahrung gestaltet.
Eine Herausforderung für Trainer
Solche Kurse sind für Kursleiter und die Autoren von Lehrmaterialien viel schwieriger zu managen. Sie müssen einen Schritt zurück machen und das größere Bild betrachten, bevor sie sich auf spezifische Details konzentrieren können.
Und das stellt eine Herausforderung für alle L&D-Mitarbeiter dar. Die Auswahl der richtigen Methode hat an Bedeutung verloren; es ist viel wichtiger geworden, das richtige Lernpaket zu schnüren.
Sie können nun nicht mehr allgemeine, willkürliche Aussagen treffen oder sich auf ein Modell, ein Buch oder eine Theorie verlassen. Sie müssen die Theorien viel umfassender verstehen. Da die Lernenden nun besser vorbereitet sind und ihnen mehr Informationsquellen zur Verfügung stehen, verliert die Rolle des Kursleiters ein wenig ihre Magie – er wird zu einem Instrument, das die Theorie in die Praxis umsetzt.
Auch die Rolle der Materialentwickler ist nun anders. Es ist gut möglich, dass das Konzept der formellen Schulungen mit der Zeit verschwinden wird. Viel mehr wird es einen Rahmen geben, der mit den Zielen des Unternehmens und des einzelnen Lerners gefüllt wird, wobei eine Reihe an Experten und Beratern die Lernenden bei der Umsetzung des Gelernten in die Praxis unterstützen werden.
Und das stellt eine Herausforderung für alle L&D-Mitarbeiter dar. Die Auswahl der richtigen Methode hat an Bedeutung verloren; es ist viel wichtiger geworden, das richtige Lernpaket zu schnüren. Es kommt auf das richtige Gleichgewicht an. Und dafür muss die L&D die Lernthemen umfassender verstehen, um sicherzustellen, dass die Lerninstrumente den Anforderungen der Lernenden entsprechen.